Texte zum Werk
Schriftbilder, geschriebene Bilder, Bilder, die die Schrift selbst zum Inhalt haben, nicht die Sprache. Die über die Leinwand eilenden, sich drängenden, übereinander quellenden handgeschriebenen Zeilen, ebenso wie die verschachtelten, sich aufeinander türmenden Druckbuchstaben wollen buchstäblich nichts mitteilen, was auf direkte Weise zu verstehen wäre, sie transportieren weder Geheimschrift, noch –sprache, sie sind auf leserliche Weise unleserlich.
Seit Anfang der 90er Jahre beschreibt Pavel Richtr seine Bilder, seine Objekte, und hat damit hintersinnig augenfällig seine beiden ursprünglich nebeneinander betriebenen Tätigkeiten symbiotisch vereint: Solange er noch im damals „sozialistischen“ Prag lebte, malte er sozusagen nur nebenbei, hauptsächlich schrieb er – Prosa, Gedichte, Theaterstücke, Arbeiten, die er allerdings nur einem kleinen Kreis junger Intellektueller bekannt machte; er versuchte gar nicht erst, sie zu veröffentlichen, weil er wusste, dass sie die Zensur nicht passieren würden.
Erst nach 1969, nach seiner Emigration in die Bundesrepublik, wurde die Malerei mehr und mehr das einzige künstlerische Ausdrucksmittel des in der fremden Sprache zunächst noch sprachlosen Dichters. Menschenbilder malte er, Abbilder seelischer Zustände.
Die figurative Malerei von Pavel Richtr hat in vieler Hinsicht paradoxale Gestalt. Sie entwickelt, um nur einiges zu nennen, ihre Koloristik aus der Entfärbung, findet ihre Figurationen inmitten des Gegenstandslosen, gewinnt ihre Prägnanz am Unbestimmten. (…) Hier genau liegt die anhaltende Bedeutung des informellen Elements, das Richtr als tachistisches Verfahren wie als behutsames action painting in den Malprozess einbezieht. Mit ihr ist auch der Zufall als kritische Instanz wirksam. (…) Dort, wo ein inneres Bild sich der Tendenz des Materials verbinden kann, entstehen, im Gegenzug zu den klischierenden Sehgewohnheiten, Figurationen, deren Realität in sich gebrochen ist. (Ingolf Schulte)
Richtr kam dann aber immer weiter ab von der Figuration hin zur Abstraktion, bis er so um 1990 schließlich beim Buchstaben landete, bei der skripturalen Malerei.
Warum Schrift, aber gleichzeitig die strikte Verweigerung von Sprache, jeglicher Sprache? –
Handelt es sich bei Richtrs postfigurativer Phase immer noch um verschlüsselte Bilder vom Menschen, Verweis auf die Schriftspur, die einzig diese Spezies zu legen versteht, in der ohnmächtigen Hoffnung, sich über die Generationen hinweg in die Ewigkeit einzuschreiben? Oder schreibt hier jemand hartnäckig gegen die Tatsache an, dass Schrift, Handschrift zumal, im Zeitalter von Computer und Bildmedien praktisch bereits ausgestorben ist?
Oder, ganz anders, verweisen die Bilder mit ihrer Schriftflut auf die Flut von Nachrichten und Informationen, die pausenlos aus allen Medien auf uns herniederprasseln, sodass in der Fülle das Einzelne nicht mehr erkennbar ist, Desinformation durch den unaufhörlichen Strom angeblicher Wichtigkeiten? – Die Deutung liegt wie immer beim Betrachter. Vielleicht führt sie ihn über die Schrift und über die Sprache hinaus in eine Wahrnehmungsebene, die der Sprache nicht bedarf.
Handschrift, von Graffitis entstellt, von Druckbuchstaben lawinenartig überrollt und schließlich abgestempelt, nummeriert, katalogisiert. Als wollten sie das Werk bloßstellen, verraten schablonierte Schriftzeichen und Ziffern die Technik, die Maße, das Entstehungsjahr, die Werknummer – absichtliche Verletzungen - Zerschriftungen. Die leise Schönheit der Bilder können sie nicht zerstören.
Seit 2014 entstehen parallel zu der Malerei auch fotografische Arbeiten. Sie sind sorgfältig komponierte und durchweg aus mehreren Bildmotiven mittels Software auf dem Computer zu einer Gesamtkomposition zusammengesetzte Fotoarbeiten. Als Material dienen meist gezielt geknipste Fotos, aber auch Teile von eigenen fotografierten Gemälden. Auffällig ist das Zusammenspiel von ungegenständlichen und gegenständlichen Bildelementen, vom Atmosphärischen und Technischen, von Landschaft und Leere. Die Fotografien bilden in Richtrs Oeuvre eine eigene neue Werkgruppe.
Diese digitalen Arbeiten haben sich, als ein anderes Medium einer gesteigerter Farbigkeit bedient, die sich im markanten Gegensatz zu Richters Skripturalen Arbeiten entwickelt haben. Womöglich war es das digitale Medium, impulsgebend Einfluss auf die neueste Phase, die unter dem subsummierenden Begriff „verbi volati“ benannt wurde. Zu sehen sind Merkmale der expressiven Abstraktion in einem zum Teil chaotischen Flug über die geduldige Leinwand , werden aber durch über das Bild gestreutem Erscheinungsbild einer Schrift quasi gebendigt. Dadurch wird nicht nur eine für ein Bild notwendige Spannung erzielt, es ermöglicht auch die gestalterische Vorgehensweise. In verschiedenen Varianten gezielt gesetzte schablonierte Schriftzüge, die gleichzeitig als Kontrahenten oder auch Stolpersteine im bewegten Abstrakten mit handschriftlichen Quasiworten wieder gebremst, werden im kompositorischen Sinn aufgestellt. Es scheint, es breite sich ein Ringen mit Aspekten des Stärkeren, des Wichtigeren an sich mit nur fliesenden farbigen Spuren, aus. Doch bleiben mögliche Rangordnungen vollkommen nebensächlich. Allein ein intuitives Vorgehen, innewohnende Risikogefahr inbegriffen, erzeugt vielleicht diese freigemalten Partituren.
2. Text (Englisch)
To anyone attempting to decipher the script in Pavel Richtr’s paintings one would advise „Give up“, to quote Franz Kafka. Richtr rejects what is normally considered the main characteristic of script: its meaning. By trying to grasp the meaning a viewer’s attention might well be distracted from the aesthetic qualities of the overall composition of his works. For Richtr script has “its own very visual history and need not serve as a vehicle for language”.
We are aware of the artistic engagements with various representations of script: in Ornament, in the calligraphy of the Middle East and the Far East or in the script renderings of freestyle painting as exemplified by Henri Michaux.
And yet this absence of sense and reference in Richtr’s work can seem irritating. In the works we see here the gestural act of writing is not used as a painting technique. In the technical sense of the word Richtr “writes” with chalk, pencil, marker or ballpoint pen and adheres to the conventional appearance of the written word by using paragraphs or typographic space.
Let us consider briefly the historical-cultural meaning of such a process. The first civilisational traces of humanity are in the literal sense of the word “prehistoric”. Whether as engravings, tatoos, notches or borings that appear enigmatic these dynamic markings intimate a kind of order. Possibly they denote events in the flow of time: the first calenders. Possibly they reflect patterns of a nascent sense of beauty. Prehistoric people lived in an abundance of nature, in which they found their bearings through signs. Today we are suffused by an abundance of signs in the shrinking world of nature. In such a surfeit signs begin losing their referential character and their significance fades.
This loss appears to resonate in the works of Pavel Richtr. It also liberates the viewer from the search for meaning that reading normally entails. Script becomes purely illustrative.
That is why Richtr’s scripts are not abstract, but concrete – selfreferential graphic traces. Handwritten notations fill the canvas and the surface reverberates with a dynamising rhythm. Letters cluster together or leave blank spaces, swelling and subsiding. Paragraphs emerge, formations of typographic grids and blocks of text. Rows of letters stand out, big and bold, further emphasised by underscoring. They then fade, are crossed out, written over, disappear under paint and condensed stencilling, are smudged or blackened. New imagery, layers, hierarchies emerge that are peculiarly attractive.
Where there is no specific meaning an entire new field of connotations and combinations unfolds. Associative fantasies of writers’ manuscripts with their ink-marked corrections come to mind, or a cryptography, medieval palimpsests, official registers, censorship and self-censorship.
Particularly the fragments of tangible information in the work, seemingly “the final authority”, strike the viewer as ambivalent, indeed ironic. They appear to adhere to some inner methodology, possibly even fulfilling the artist´s serious intention of maintaining an organised index of his own work. They, however, also open the way for thoughts of a less pleasant nature. Have we not seen such stencilled abbreviations in the labyrinths of bureaucracy, or on military convoys thundering past, or in nightmarish prisons and concentration camps – insignias of alien, menacing forces? Yet apart from these obvious interventions, underneath it all, one is also aware of a soul relentlessly producing a kind of “automatic writing”. One cannot forget that Pavel Richtr lived in Prague before emigrating in 1969 to a world whose language he did not know after the brutal end of the Czech “Prague Spring”.
But to revert to pure conceptuality: on the canvasses the forceful, if occassionally rigid intrusions, corrections, deletions and blackenings confront the lyrical tonality of a thin pastell palette. Delicate gray graduations and variations of white , fading blue tones and light red earthern shades are overlain with a heavy stencilled black, particularly in the recent works. The visual impression is fragile, ephemereal, and yet ominous.
Through the interplay of the layering of script these paintings develop the aura of musical notations or scores. Beauty that does not degenerate into ornamentation but is experienced as artistic hand - writing. Pavel Richtr’s world of imagery proves to be a careful balance of chance and calculation, of disharmony and equilibrium, skillfully shifting between a negated and a deeper meaning.
Peter Weber
(Translation Navina Sundaram)